Mittendrin statt nur dabei.

Über unseren Blog „Mitten im Geschehen“ könnt ihr täglich aktuelle Neuigkeiten aus unserem Kinderheim Angels Home for Children in Sri Lanka erfahren. Sowohl die Projektleiter Frank und Julia als auch die Freiwilligen berichten hier über ihre Arbeit mit den Mädchen, witzige Begebenheiten aus dem Alltag oder auch über Besonderheiten aus einem Leben in Sri Lanka. Mit unseren Blogeinträgen möchten wir euch kontinuierlich auf dem Laufenden halten und teilhaben lassen, was wir dank eurer Hilfe mit dem Dry Lands Project e.V. für die Kinder hier erreichen. Viel Spaß beim Lesen!

Auch eine Ewigkeit ist endlich...

Ein Foto aus dem Jahr 2007 im alten Kinderheim Ein Foto aus dem Jahr 2007 im alten Kinderheim

Seit Tagen sitze ich hier und überlege, wie ich zu Papier bringe, was ich sagen möchte. Jeder Anfang fühlt sich falsch an, nicht real oder irgendwie auch absurd. Die Wörter passen nicht recht zusammen, Satzfetzen werden gestrichen, neu geschrieben und wieder verworfen. Ich schreibe für mein Leben gern, aber das hier ist wirklich eine Herausforderung…

Also am besten einfach raus damit: Ich höre auf. Ich kann nicht mehr. Meine Kraft ist am Ende... Aktuell verbringe ich meine letzten Tage im Angels Home in Sri Lanka, welches in den vergangenen 15 Jahren mein Zuhause war. Ich habe mich dazu entschieden, wieder zurück nach Deutschland zu gehen und mir dort einen anderen Job zu suchen. Wer mich kennt, für den ist diese Offenbarung vermutlich nicht so überraschend wie für Diejenigen, die mich nicht so gut kennen. Wer mich beispielsweise nur einmal während eines kurzen Besuchs gesehen hat oder auch längerfristig im Rahmen einer Patenschaft mit mir Kontakt hatte, der kennt nur die professionelle Drylands-Julia – die Julia, die für das Angels Home lebt und alles andere hintenanstellt.

Mit meinem Goldschatz Achini im Jahr 2014

Leider muss ich euch sagen, dass ich diese Julia nicht mehr sein kann und auch ihre Rolle nicht mehr spielen möchte. Wenn ich jetzt nicht endlich damit anfange, auch einmal an mich selbst zu denken, an meine eigenen Bedürfnisse, dann verliere ich mich und das ist wirklich kein schönes Gefühl. Viel zu lange merke ich schon, dass meine Kräfte schwinden, dass ich hier nicht mehr glücklich bin und ich eigentlich nur noch Frank und den Kindern zuliebe bleibe. Und nun stürzt dieser lange vor mir hergeschobene Veränderungswunsch mit einer Brutalität und Dringlichkeit auf mich ein, dass es mir selbst Angst macht. Eine gute Freundin von mir sagte schon mal vor vielen, vielen Jahren zu mir: „Fischi, irgendwann wachst du frühs auf und dann weißt du, was zu tun ist." Und so war es. An einem Morgen vor ein paar Wochen war da plötzlich diese Erkenntnis: Es geht nicht mehr! Du musst etwas ändern, und zwar sofort!

Der Entschluss hat nichts mit diesem wundervollen Projekt zu tun – ganz im Gegenteil: Ich bin so stolz darauf, was Frank und ich hier in den letzten Jahren geschaffen haben und ich fühle mich geehrt, dass ich ein Teil davon sein durfte. Es liegt allein an mir und der Art und Weise, wie ich heute verändert auf viele Dinge blicke und mich von Vielem nicht mehr genug abgrenzen kann. Die Mentalität hier ist sehr speziell und es gibt viele Eigenschaften, Wertevorstellungen und Einstellungen, mit denen ich nie gut zurechtgekommen bin und die unweigerlich zu persönlichen Enttäuschungen geführt haben. Es würde zu weit führen, dies hier genau zu erörtern, aber ich denke, ihr versteht auch so ein wenig, was ich damit meine.

Beim ersten Aufenthalt im Jahr 2006 mit Anne und Chanchala

Ich bin damals mit 22 Jahren das erste Mal für ein Praktikum ins Angels Home gekommen und seitdem drehte sich meine Welt fast ausschließlich um diese Arbeit und unsere Mädels, für die Frank und ich mehr als nur sicherer Hafen und Unterschlupf sind. Heute denke ich, dass ich vielleicht einfach noch zu jung war und auf ganz viel in meinem jungen Erwachsenenleben verzichtet habe, was für viele meiner Freunde normal und selbstverständlich war. All die Jahre hat es mich nie gestört, dass wir hier ein recht eintöniges Leben führen und kaum Sozialkontakte außer zu uns selbst und den Freiwilligen haben. Für mich war es okay, nur hin und wieder mit meiner Familie zu telefonieren und mit Freunden Emails auszutauschen. Doch irgendwann – ganz langsam, aber dennoch kontinuierlich – schlich sich dieses Gefühl von Sehnsucht ein. Sehnsucht nach Heimat, nach Familie, nach Freiheit… Ihr könnt mir glauben, ich habe sehr lange versucht, es wegzuschieben, hintenanzustellen, nicht so wichtig zu nehmen. Aber Fakt ist: es ging nicht weg und wurde auch nicht besser, sondern eher schlimmer. Im Jahr 2017 und 2018 gab es bereits einen ersten Versuch von mir mit einer Wohnung in Erfurt und längeren Aufenthalten in Deutschland. Da die Bedingungen aber nicht optimal waren, zog es mich schnell wieder zurück in meine sichere Komfortzone nach Sri Lanka. Doch erneut musste ich feststellen, dass ich diesem dauerhaften Leben auf der Insel nicht mehr gewachsen bin und deshalb habe ich nun seit einem Jahr wieder eine Wohnung in Deutschland – diesmal in meiner Heimatstadt Meiningen. Das fühlte sich von Anfang an richtig an und ich habe wirklich riesiges Glück gehabt mit meinen eigenen kleinen 4 Wänden! Seit letztem Sommer versuchte ich mich nun noch einmal an der Halb-Halb-Lösung: 3 Monate Deutschland und 3 Monate Sri Lanka im Wechsel. Und wieder scheiterte ich an diesem Vorhaben – diesmal allerdings umgekehrt; mit dem Wunsch nach einem dauerhaften Leben in Deutschland. Viel zu lange habe ich diesen unterdrückt und nun ist er so groß und unumgänglich, dass ich ihm einfach nachgeben muss.

Ein Bild von meiner Rückkehr im Jahr 2018

Wenn ich darüber nachdenke, dass ich den Mädels und meinem gesamten Leben hier bald auf unbestimmte Zeit Lebewohl sagen werde, bildet sich in meinem Hals ein dicker Kloß und das Herz schlägt mir bis zum Hals. Dieser Abschied hat definitiv 2 Gesichter und es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nur glücklich oder nur traurig darüber bin. Natürlich freue ich mich sehr auf meinen neuen Lebensabschnitt und auf all die Menschen, die mich sehnlichst erwarten. Doch ich bin mir auch darüber im Klaren, dass es viele schwere Tage geben wird, an denen ich mich zu Frank und den Mädels zurücksehne und mit Sicherheit die eine oder andere Träne vergießen werde und mich frage, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Doch um dies herauszufinden, muss ich es ausprobieren. Oder wie es Albert Einstein formulieren würde: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert."

Natürlich werde ich immer ein Teil von Drylands bleiben und ich habe mir fest vorgenommen, viele meiner Aufgaben auch ehrenamtlich weiterzumachen und so oft wie möglich zu Besuch zu kommen. Aber natürlich wird es mit einem Vollzeitjob demnächst nicht mehr dasselbe sein und es werden viele Veränderungen vonstattengehen, von denen ich hoffe, dass Frank und ich sie gemeinsam gut meistern werden. Die letzten Wochen waren für uns Beide ein Wechselbad der Gefühle und ein ständiges Auf und Ab zwischen Verständnis, Sorge, Wut, Hoffnung und Enttäuschung. Es war nicht leicht, diese immense Veränderung Gestalt annehmen zu lassen und gleichzeitig immer genügend Einfühlungsvermögen für den anderen aufzubringen. Trotzdem sind wir uns in einem Punkt einig: Das Angels Home ist großartig und wir sind stolz darauf, ein solches Heim für Kinder geschaffen zu haben. Und deshalb wollen wir auch weiterhin an einem Strang ziehen, um es am Leben zu halten. Ich bewundere Frank für sein Durchhaltevermögen, für seine Stärke und den unerschütterlichen Willen, dies auch weiterhin hier vor Ort zu tun. Ich weiß, dass auch er seine schwachen Momente hat und Tage, wo er am liebsten alles hinschmeißen möchte und ganz, ganz weit weg sein will. Dennoch bleibt er und ich kann nicht in Worte fassen, wie leid es mir tut, dass ich demnächst nicht mehr an seiner Seite sein kann. Ich wünsche uns und dem Projekt von Herzen, dass wir andere wunderbare und engagierte Menschen finden, die dazu bereit sind und uns bei der direkten Arbeit mit den Kindern unterstützen. Mit Babett wagen wir einen ersten Versuch und hoffen sehr, dass es funktioniert!

Mit unserer ehemaligen Freiwilligen und lieben Freundin Dani im Jahr 2011

In diesem Sinne sage ich danke für 15 wundervolle Jahre, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin. Danke an all die zauberhaften Mädels, die alle einzigartig und besonders sind und mir oft gezeigt haben, worauf es im Leben wirklich ankommt. Danke an all unsere Paten und Sponsoren, die immer an uns glauben und uns mit ihren lieben Worten so viel Kraft geben. Danke an die vielen Freiwilligen, die uns vor Ort unterstützt haben. Ihr glaubt gar nicht, wie viele verschiedene Menschen und Charaktere ich durch Drylands kennenlernen durfte. Ich bin dankbar für diese Vielfalt und das Maß an Empathie, welches ich dadurch erreichen konnte. Danke auch an das Land selbst für all seine Schönheit, seine kulinarischen Genüsse und diese gewisse Leichtigkeit, die sich durch so viele Lebensbereiche zieht.

Ein letzter Gruppenausflug mit den Mädels zur Kirche

Und zu guter Letzt: Danke, Frank – für all deine Worte, deinen Humor, deine Kratzbürstigkeit, deine Stärke, deinen Optimismus, deine Energie, deine Streitlust, deine Kochkünste, deine Art zu fühlen, dein Verständnis, deine Widerworte, deinen Dickkopf, dein Lachen, deine Fahrkünste, deine Kreativität, deine Einzigartigkeit, deinen Charme und all deine Liebe in den letzten Jahren – sowohl für mich, als auch für die Mädchen. All das wird ewig in mir weiterleben und du wirst immer ein Teil von mir sein!

Und so verbleibe ich mit optimistischen Grüßen für unsere Zukunft,

eure Julia.

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