Mittendrin statt nur dabei.

Über unseren Blog „Mitten im Geschehen“ könnt ihr täglich aktuelle Neuigkeiten aus unserem Kinderheim Angels Home for Children in Sri Lanka erfahren. Sowohl die Projektleiter Frank und Julia als auch die Freiwilligen berichten hier über ihre Arbeit mit den Mädchen, witzige Begebenheiten aus dem Alltag oder auch über Besonderheiten aus einem Leben in Sri Lanka. Mit unseren Blogeinträgen möchten wir euch kontinuierlich auf dem Laufenden halten und teilhaben lassen, was wir dank eurer Hilfe mit dem Dry Lands Project e.V. für die Kinder hier erreichen. Viel Spaß beim Lesen!

Interview mit Julia zur Erziehung im Angels Home

Zwischendurch bleibt immer Zeit für ein paar Späße. Zwischendurch bleibt immer Zeit für ein paar Späße.

Eine Aufgabe während meines Praktikums bestand darin, ein leitfadengestütztes Interview zu entwickeln und dieses mit einer Person in der Praktikums-Institution zu führen. Das Thema das Interviews sollte sowohl mit dem Praktikum, als auch mit meinem späteren Beruf als Lehrerin zu tun haben. Also entschied ich mich für das Thema Erziehung. Und wen könnte ich dazu besser befragen als Julia? Niemanden! Das Ergebins wollten wir euch natürlich nicht vorenthalten. 

Spiele zur Schulung der Sinne gehören ebenfalls zum Programm

L: Wie sieht der Alltag der Kinder im Angels Home aus?

J: Sehr strukturiert und durchgeplant. Das ist ein absolutes Muss bei so vielen Mädchen. An normalen Wochentagen gehen sie von 7 Uhr morgens bis ca. 14 Uhr zur Schule. Das ist die ruhigste Zeit bei uns. Am Nachmittag und auch schon in der Zeit vor der Schule (ab 5 Uhr) haben die Mädchen einen festen Ablaufplan, der täglich eingehalten wird. Hier sind verschiedene Gruppenpflichten wie Küchendienst, Gartenarbeit oder Putzaufgaben ebenso berücksichtigt wie Zeiten für Hausaufgaben und Nachhilfeangebote, zum Spielen, zur Körperpflege und zum Beten. Viermal am Tag treffen sich alle Mädchen am großen Esstisch, wo sie gemeinsam ihre Mahlzeiten einnehmen. Der Tag endet für die Älteren spätestens um 22 Uhr, oft sind sie aber ganz freiwillig auch schon viel früher in ihren Betten.

Neben diesen alltäglichen Abläufen versuchen wir, den Kindern in ihrer Freizeit und vor allem am Wochenende und in den Ferien vielfältige Aktivitäten zu bieten, mit denen sie ihre Interessen und Talente erproben können. Dazu gehören z.B. Malen, Joggen, Tanzunterricht, Schauspiel, Aerobic, Nähen, Schwimmtraining, Basteln und Kochkurse.

L: Beschreibe bitte einmal konkret, welche Akteure an der Erziehung der Mädchen mitwirken. Wem kommt welche Rolle, mit welchem Ziel zu?

J: In erster Linie sind das unsere 6 Betreuerinnen im Kinderheim, wovon vier direkt in der Einrichtung leben und somit rund um die Uhr für die Mädchen da sind. Sie sollen eine Art Mutterersatz sein und mit Liebe, Fairness und einer guten Vorbildwirkung auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Dabei ist einer Gruppe von 10 Mädchen jeweils eine Betreuerin zugeordnet. Weiterhin gibt es im Angels Home noch eine Köchin, eine Putzfrau und einen Hausmeister, die alle auch täglichen Kontakt mit den Kindern haben und sie somit auch ein wenig mit erziehen. Außerdem gibt es verschiedene Nachhilfelehrer, die einmal wöchentlich zu uns kommen und sicherlich auch einen Einfluss haben. Frank und ich übernehmen die Leitung der Einrichtung und legen die Regeln, Zeitpläne und Aufteilungen fest. Frank wird von den Kindern „Thaththa" (Papa) genannt und ich denke, für einige von ihnen (die schon sehr lange bei uns leben) sind wir vielleicht wirklich eine Art Elternersatz. Allerdings ist unsere Rolle im Heim auch stark mit Autorität verbunden, was nicht anders geht, wenn man von so vielen Angestellten und Kindern auch ernst genommen werden möchte. Trotzdem bleibt natürlich hin und wieder Zeit für Späße oder gemeinsame Aktivitäten. Weiterhin haben wir im Angels Home auch regelmäßig Freiwillige oder Praktikantinnen aus dem deutschsprachigen Raum, die uns für einige Monate durch ihre Mitarbeit unterstützen. Sie sind für die Mädchen in erster Linie Spielgefährten, Englisch-Lehrerinnen, Streitschlichter, Päckchen-Überbringer und Sprachrohr zu Frank und mir, wenn sie sich mit ihren Anliegen mal nicht selbst zu uns trauen.

Einige Mädchen wachsen einem im Laufe der Jahre besonders ans Herz.

L: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Kinder in einem Heim nicht so eng betreut werden können wie in einer Familie. Ihr habt aber einige Methoden entwickelt, um diese fehlende Aufmerksamkeit auszugleichen, zum Beispiel, dass jedes kleine Mädchen eine „große Schwester" zugewiesen bekommt, die ihr hilft den Alltag zu bewältigen. Oder der enge Kontakt zu den deutschen Pateneltern. Kannst du darüber erzählen?

J: Genau, bei uns gehören immer zwei Mädchen zusammen, wovon eine so ein bisschen die Rolle der großen Schwester übernimmt bzw. in einigen Fällen sind es auch wirklich Geschwister. Diese beiden Mädchen teilen sich einen Schrank und ein Doppelstockbett, wobei die Ältere immer ein wenig acht auf die Jüngere gibt und ihr bei der Bewältigung des Heimalltags hilft (z.B. Bettenmachen, Wäschewaschen, Bügeln etc.).

Im Angels Home hat jedes Kind außerdem Unterstützung durch Pateneltern, die überwiegend aus Deutschland kommen und uns einen monatlichen Beitrag spenden, wovon wir die Grundversorgung der Kinder abdecken können. Der Kontakt zu den Pateneltern ist sehr unterschiedlich, kann aber über die Jahre durchaus sehr intensiv werden. So können die Mädchen mit zunehmenden Englischkenntnissen regelmäßigen Briefkontakt halten und in vielen Fällen kommen die Pateneltern uns auch irgendwann besuchen, um ihren Schützling persönlich kennenzulernen. In einem besonders positiven Fall sind die Pateneltern jedes Jahr ein- bis zweimal zu Besuch gekommen und konnten ihre Beziehung zu ihrem Patenkind so gut vertiefen, dass sie das mittlerweile volljährige Mädchen nun bald nach Deutschland für einen Besuch einladen. Darüber freuen wir uns alle sehr!

In den letzten Jahren hatten wir auch immer mal wieder psychologische Beratungsangebote im Kinderheim, wodurch wir den Mädchen die Möglichkeit geben wollten, mit einer externen Person über ihre Probleme und Ängste zu sprechen. Leider ist es sehr, sehr schwer, eine solche Möglichkeit mindestens einmal pro Woche zu gewährleisten, da es in unserer Region kaum gut ausgebildete Berater gibt. Trotzdem versuchen wir natürlich, stets auch auf die psychische Gesundheit unserer Kinder zu achten und ihnen durch abwechslungsreiche Aktivitäten in den Ferien und am Wochenende positive Erfahrungen zu geben.

L: Gerade in der Heimerziehung ist es wichtig, den Heranwachsenden Handlungs- und Bewältigungsstrategien an die Hand zu geben, um sie auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten. Auch in diesem Punkt tut ihr einiges für die Mädchen, die hier wohnen, nicht wahr?

J: Im Angels Home versuchen wir, die Mädchen von Anfang an zu sehr viel Selbstständigkeit zu erziehen. So muss beispielsweise jedes Kind (auch die Kleinen) morgens sein Bett machen, die eigenen Kleidungsstücke mit der Hand waschen und generell seinen Teil dazu beitragen, dass der Alltag so gut funktioniert und unser Heim immer gut gepflegt ist. Jeder hat verschiedene Pflichten zu erledigen und ich bin mir sicher, dass die Mädchen bei uns auch schon gut auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Natürlich wünscht man sich etwas anderes für sie, aber in unserer unterentwickelten Region ist es leider oft noch die typische Rollenzuweisung für Frauen. Deshalb müssen wir neben Schule und Freizeit irgendwie auch gewährleisten, dass die Mädchen bei uns kochen, waschen, nähen und putzen lernen.

L: Unterstützt ihr die Jugendlichen auch noch bei der schwierigen Übergangszeit zwischen Schule und Berufsleben?

J: Ja, wir haben ein kleines Aussiedlungsprojekt für die älteren Mädchen. Dieses befindet sich auf dem Nachbargrundstück des Kinderheims und umfasst zwei kleine Häuschen für jeweils 2 Mädchen, eine große Außenküche, eine Dusche und eine Toilette. Hier können unsere Volljährigen, die bereits mit der Schule fertig sind, eine Zeit lang wohnen und sich somit auf das Leben nach dem Kinderheim vorbereiten. Einige von ihnen machen eine Berufsausbildung oder sie übernehmen zunächst kleine Hilfsarbeiten in unserem Angels Home. Alle bekommen von uns ein wöchentliches Taschengeld, wovon sie für sich selbst einkaufen und ihren Haushalt bestreiten müssen. Somit können sie sich einerseits in Selbständigkeit erproben und andererseits noch die Nähe unserer Einrichtung genießen, bevor sie irgendwann auf eigenen Füßen stehen.

Im Angels Home erhält jedes Mädchen die Chance auf eine bessere Zukunft.

L: Der Rechtsphilosoph Feinberg definiert gelungene Erziehung wie folgt: Dem Kind sollen das Wissen und die Fähigkeiten zur Verfügung gestellt werden, die es braucht, um entscheiden zu können, welche Lebensweise am besten zu seinem Naturell und seinen individuellen Vorstellungen passt – quasi das Recht auf eine offene Zukunft. Würdest du sagen, dass die Kinder hier die Chance darauf haben?

J: Grundsätzlich ja, im Angels Home haben sie alle Voraussetzungen, die sie dafür brauchen. Allerdings darf man auch die in Sri Lanka herrschenden Gesellschaftsnormen und Weltanschauen nicht außer Acht lassen. Wie schon erwähnt, haben viele Menschen noch das altmodische Rollenverständnis, dass eine Frau in den Haushalt gehört und nicht arbeiten sollte. Viele unserer Mädchen haben ja noch regelmäßigen Kontakt zu ihren Angehörigen und ihre Zukunft ist sicherlich auch stark von deren Meinungen abhängig. Deshalb müssen wir leider auch häufig mit anschauen, wenn schulische Erfolge nicht vertieft oder offensichtliche Talente nicht genutzt werden. Das ist sehr schade, aber dennoch sind wir überzeugt, dass wir für alle Kinder wichtige Grundsteine für ihre spätere Entwicklung legen und dass sie sich nach ihrem Leben im Angels Home hin und wieder an uns erinnern.

L: Wir haben jetzt sehr viel über Leistungen bzw. Chancen gesprochen, die ihr den Kindern hier geben könnt: Kommen wir nun zu den Grenzen? Wo stoßt ihr während der Arbeit in eure Grenzen?

J: Wie schon erwähnt, ist der Einfluss der Angehörigen und der Gesellschaft nicht zu unterschätzen. Vor allem von Mädchen in Sri Lanka wird erwartet, dass sie sich unterordnen, nicht widersprechen und es möglichst allen recht machen. Hier muss man sehr aufpassen, wie man versucht, dem entgegenzuwirken und den Mädchen zu mehr Selbstbewusstsein verhilft. Die Schulen und Ämter, mit denen wir zusammenarbeiten, haben diesbezüglich natürlich stets ein kritisches Auge auf uns als ausländisches Projekt.

L: Erziehungserfolg ist nicht konkret messbar, da der Zusammenhang zwischen Zielen und Mitteln nie eindeutig geklärt werden kann. Ergebnisse solcher Untersuchungen können immer nur eine Annährung sein: Dennoch – würdest du persönlich sagen, dass die Erziehung hier im Angels Home gelingt?

J: Ja, im Großen und Ganzen würde ich dem schon zustimmen. Natürlich hat man immer ein paar Querschläger, auf die man nur schwer Einfluss nehmen kann. Aber wir haben auch sehr viele Positiv-Beispiele, wo sich richtige Rabauken zu Musterschülerinnen entwickelt haben. Ich denke, es ist gut und wichtig, dass wir den Mädchen hier so viel Struktur geben und es eigentlich kaum Langeweile bei uns gibt. Das wird auf jeden Fall positive Spuren hinterlassen und seien sie später auch nur in der Form zu messen, dass die Mädchen gerne an ihre Zeit bei uns zurückdenken. Sie haben es hier zumindest besser als in ihren Familien – weshalb sie ja schließlich auch bei uns sind. Viele erleben hier das erste Mal regelmäßige Mahlzeiten, Lernerfolge und positive Konditionierung für gutes Verhalten. Also ja, ich denke, wir machen das ganz gut. 

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Frohe Ostern auch ohne Eiersuche
Eigentlich würden wir jetzt im Flugzeug sitzen

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