Mittendrin statt nur dabei.

Über unseren Blog „Mitten im Geschehen“ könnt ihr täglich aktuelle Neuigkeiten aus unserem Kinderheim Angels Home for Children in Sri Lanka erfahren. Sowohl die Projektleiter Frank und Julia als auch die Freiwilligen berichten hier über ihre Arbeit mit den Mädchen, witzige Begebenheiten aus dem Alltag oder auch über Besonderheiten aus einem Leben in Sri Lanka. Mit unseren Blogeinträgen möchten wir euch kontinuierlich auf dem Laufenden halten und teilhaben lassen, was wir dank eurer Hilfe mit dem Dry Lands Project e.V. für die Kinder hier erreichen. Viel Spaß beim Lesen!

Ein Leben jenseits unserer Vorstellungskraft

Father Jude mit einigen Siedlungsbewohnern Father Jude mit einigen Siedlungsbewohnern

Während man in unserer heilen Angels-Home-Idylle leicht vergessen kann, in welchem Land man sich eigentlich befindet und aus welchen Verhältnissen unsere Mädchen größtenteils kommen, so wird einem dies außerhalb des kleinen Paradieses relativ schnell bewusst. Spätestens, wenn man sich etwas weg von der turbulenten und geschäftstüchtigen Hauptstraße bewegt und weiter Richtung Norden der Insel kommt. Hier gibt es viele Wohngegenden, in denen die Menschen unter unvorstellbaren Bedingungen leben und zwei solcher Siedlungen in der Nähe von Puttalam haben Frank und ich vergangene Woche besucht.

Hier wurde ein großes Okra-Beet angelegt.

Die Möglichkeit hierzu bekamen wir durch einen katholischen Priester, mit dem wir seit einigen Jahren bekannt sind und der uns gelegentlich Mädchen aus sehr unterentwickelten Familienstrukturen vermittelt. Das Klientel, mit dem er überwiegend zu tun hat, sind kinderreiche Familien ohne grundlegende Schulbildung oder sexuelle Aufklärung. Inzest, sexueller Missbrauch, Alkohol- und Drogenprobleme sowie häusliche Gewalt bestimmen den Alltag in solchen Siedlungen. Das größte Problem ist, dass all diese Gemeinschaften, um die Father Jude sich kümmert, fernab der zivilisierten Dörfer oder Städte liegen, sodass ihre Bewohner kaum oder nur selten Kontakt zu Außenstehenden haben. Während die Männer mitunter wenigstens ein Fahrrad oder Moped besitzen, mit dem sie sich hin und wieder auf den Weg zu irgendwelchen Aushilfsjobs machen, leben die Frauen und Kinder ausschließlich in der Siedlung und sind mehr oder weniger sich selbst überlassen. Viele Geburten werden nie registriert und neben dem Priester und einigen wenigen Interessenten oder Helfern verirrt sich nur selten jemand in diese Wohngegenden. Auch Lehrer oder Erzieher für einen kontinuierlichen Unterricht der Kinder sind nicht zu finden. Wer möchte schon einen so weiten und unwegsamen Arbeitsweg auf sich nehmen - zu einer Gegend, wo man sich kaum sicher fühlen kann? Es ist ein Teufelskreis, in dem ein Übel das nächste auslöst und Father Jude versucht, ihn mit kleinen Hilfen gelegentlich zu durchbrechen.

So wurde in der einen Siedlung kürzlich ein großes Beet mit Okra-Gemüse angelegt, um welches die Bewohner sich nun selbst kümmern, um anschließend die Ernte untereinander aufzuteilen. Selbst diese kleinen Hilfen zur Selbsthilfe müssen kontinuierlich beaufsichtigt werden, denn auch mangelnde Disziplin und schwindender Enthusiasmus sind bekannte Probleme der Wohnsiedlungen.

Ein eher trauriges Wiedersehen mit 3 ehemaligen Heimbewohnerinnen

Besonders traurig und erschütternd war für uns das Wiedersehen mit 3 unserer ehemaligen Mädchen aus dem Angels Home. Sanduni, Nisansala und Nimeshika lebten von Anfang 2016 für knappe 1,5 Jahre bei uns und wurden uns damals von Father Jude vermittelt. Sie waren liebe, zurückhaltende Mädels, die sich schnell bei uns eingelebt und Freundinnen gefunden haben. Auch wenn sie in der Schule aufgrund von vorherigen Versäumnissen keine Überflieger waren, so sind sie doch gerne zum Unterricht gegangen und haben sich bemüht, etwas Neues zu lernen. Als die 3 Mädchen uns Mitte 2017 schon wieder verließen, waren wir natürlich etwas skeptisch, verließen uns aber letztlich auf die Aussagen der Angehörigen und des Jugendamts, die uns versicherten, dass es den Mädchen gut zuhause gehen würde. Nun haben wir bei unserem Besuch erfahren, dass alle 3 Mädels seit ihrer Rückkehr in die Siedlung nicht mehr zur Schule gegangen sind und eine von ihnen ist in ihrem zarten Alter von 17 Jahren bereits verheiratet - natürlich mit einem älteren Mann, der ebenfalls in der Siedlung lebt und seit Jahren der Nachbar der Familie ist. Wir hatten das Gefühl, dass die drei Mädels sich sehr über das Wiedersehen mit uns gefreut haben, aber man konnte in ihren Gesichtern auch auch Traurigkeit über Vergangenes sowie sorgenvolle Falten erkennen. Es hat uns sehr leid getan, sie so zu sehen und trotz einer Einladung zur Übernachtung im Angels Home sind wir uns sicher, dass sie nicht kommen werden. Zu groß ist ihre Scham gegenüber den anderen Mädels und dem Personal, das sie noch kennen.

Natürlich haben wir uns mit Father Jude auf den weiten und beschwerlichen Weg zu diesen Siedlungen gemacht, um über eine mögliche Unterstützung nachzudenken. Doch um ehrlich zu sein, fühlt sich fast jede Form der Hilfeleistung an wie ein Tropfen auf den heißen Stein, denn eigentlich müssten diese Menschen umgesiedelt, wieder in die Gesellschaft integriert und vor allem gebildet werden. Alles andere erscheint nutzlos vor dem Hintergrund dieses trostlosen und langweiligen Alltags, wie ihn vor allem die Frauen und Kinder dort führen. Der einzige Lichtblick der oftmals viel zu jungen Mütter sind ihre Kleinen, mit denen sie sich jedoch nicht wirklich beschäftigen und die sie nicht fördern, sondern eigentlich nur beaufsichtigen. Und so warten sie tagein, tagaus auf die Nacht oder den neuen Tag, den sie neben ein wenig Kochen und Wäschewaschen überwiegend mit Rumsitzen und Nichtstun verbringen. Was für eine Lethargie - für Menschen wir uns unvorstellbar!

Die Wohn- und Lebenssituation vieler Siedlungsbewohner ist bedrückend.

Trotzdem haben wir überlegt, was wir tun können, auch wenn wir vermutlich nichts am Alltag und der Lebenssituation der Menschen verändern. Eventuell würden wir ihnen ein paar unserer alten Nähmaschinen aus dem Trainingscenter überlassen, denn auch wenn unsere Schneiderei in Zukunft weiterhin Bestand haben soll, so brauchen wir lange nicht mehr alle Maschinen, die wir damals für die beruflichen Ausbildungskurse angeschafft haben. Mit den Nähmaschinen sowie einigen Stoffen und Accessoires hätten zumindest die Frauen tagsüber die Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Es gibt wohl bereits 2-3 Frauen, die nähen können und bereit wären, es den anderen beizubringen. Wir haben überlegt, dass sie Frauen dann gelegentlich auch Sachen für unser Kinderheim nähen könnten und wir würden ihnen diese Leistung bezahlen. Vielleicht ist es ein kleiner Anreiz, um weiterzumachen und - wenn auch nur in geringem Maße - ein Umdenken anzustoßen. Wir werden uns natürlich über die Fortschritte informieren und nach einer gewissen Zeit auch selbst noch einmal in der Siedlung vorbeischauen.

Der Besuch in den Siedlungen hat viele Gedanken bei mir ausgelöst, doch der Wichtigste hallte bis spät in die Nacht in meinem Kopf wider: "Was habe ich doch für ein Glück, in welche Familie, in welches Land und in welche Gesellschaft ich hineingeboren wurde!"

Mit nachdenklichen Grüßen,

eure Julia. 

8
Alle einmal nass werden, bitte!
Im Garten der Engel

Ähnliche Beiträge

 

Tauche ein in die Welt des Geschehens! Unser Newsletter hält dich stets auf dem Laufenden. Jetzt abonnieren.