Drylands Presseartikel

Praktikum im „Heim der Engel“

Wie ist es eigentlich, sein gewohntes Umfeld einfach so hinter sich zu lassen für eine neue, fremde und defintiv komplett andere Kultur? Kann man seine eigenen Bedürfnisse und die Standards, an die man schon sein ganzes Leben gewohnt ist, einfach so zurückstellen?

Stellen Sie sich doch einfach mal vor, Sie befinden sich an einem wunderschönen Strand, die Sonne scheint wie verrückt und das Einzige, was sie wollen, ist endlich die Klamotten auszuziehen um sich zu sonnen oder endlich ins kühle Wasser zu springen. Darauf müssen Sie leider verzichten, denn die Sitten und Gepflogenheiten sind in dem Land, in dem Sie sich befinden anders und Sie müssen sich wohl oder übel anpassen. Wer so etwas freiwillig in Kauf nimmt?! Die 19-jährige Bocholterin Marie Waarlo, die das Mariengymnasium besuchte, hat sich getraut und sich für ein eher ungewöhnliches Praktikum entschieden. Sie arbeitet zurzeit in SriLanka (Anm.: Das liegt vor der Südostküste von Indien), im Angels Home for children, einem Mädchen Kinderheim an der Westküste der Insel, ca 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo. „Der Plan zwischen Abi und Studium ins Ausland zu gehen, existierte schon sehr lange und dass es nach Sri Lanka gehen sollte, war für

„Ich kann es nicht fassen“

mich auch keine große Frage, weil mein Papa hier geboren wurde, ich also halbe Singhalesin bin“, erklärt Marie. Dass aus den anfänglichen Planungen jetzt doch so schnell Realität wurde ist auch für Marie noch nicht ganz zu begreifen „Ich kann es einfach immer noch nicht fassen, dass ich jetzt hier bin, dass der Satz `Nach dem Abi gehe ich ins Ausland` greifbar war und schließlich zur Tatsache wurde.“ Natürlich mischten sich zur Vorfrede mit dem immer näher rückendem Flug dann auch Zweifel und Ängste, denn die Bocholterin machte sich vorallem darüber Sorgen, ob sie den Anforderungen, die an sie gestellt werden, überhaupt gerecht werden kann und ob die Kinder sie mögen und auch akzeptieren.

Marie berichtet nun von ihrer ersten Woche im Kinderheim und wird Sie, liebe Leserinnen und Leser, an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. „Zumindest letztere Sorge kann ich jetzt schon mal aus dem Weg räumen. Bisher bin ich einfach superfroh, dass ich mich für das Praktikum entschieden habe!

Frank Lieneke gründete das Projekt im Jahr 2005. Gemeinsam mit der Diplom-Kommunikationspsychologin Julia Fischer leitet er das Angels Home for children. Bevor das Kinderheim in Marawila erbaut wurde, unterstütze das Projekt zum Beispiel im Jahr 2005 zahlreiche Tsunami Camps mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern, außerdem wurde im Mädchen-Kinderheim im benachbarten Wennapuwa geholfen und soziale Einrichtungen, wie das Behindertenheim, ebenfalls in Wennapuwa wurden unterstützt. Im August 2005 begannen dann die ersten Bauarbeiten für das Angels Home und Anfang des Jahres 2006 war es dann soweit. Die ersten Mädchen konnten einziehen. Seitdem hat sich noch vieles geändert hier in Marawila, ein neues Grundstück wurde gekauft und ein komplett neues Kinderheim aufgebaut, das momentan 55 Mädchen ihr Zuhause nennen dürfen. Die Kinder sind zwischen 5 und 18 Jahre alt und kommen meistens aus Familien, deren Schicksäle es nicht möglich machen, ein Kind großzuziehen. Ihre traurigen Geschichten merkt man den Mädchen aber meist nicht an, sie sind immer zu am Lachen und Grinsen und haben mich alle sehr offen und warm empfangen, als ich vor einer Woche im Angels Home angekommen bin. Ebenso freundlich, wurde ich auch von zwei weiteren Praktikantinnen aus Deutschland und vom dreizehn-Köpfigen Team Singhalesischer Frauen, die sich um die Kinder, das Kochen und die Sauberkeit im Heim kümmern, begrüßt. Ich habe vor diesem Praktikum schon zwei Mal Urlaub auf Sri Lanka gemacht, die Aufenthalte waren aber wesentlich kürzer und vor allem in Gegenden, wo sich viele Touristen herumtreiben und die eigentliche Kultur des Landes und die Mentalität der Menschen nicht zum Vorschein kommt. So rieselten eine Menge neue, aufregende und teilweise auch nachdenklich machende Eindrücke in den letzten Tagen auf mich ein. Angefangen hat es mit einem Besuch im örtlichen Krankenhaus am ersten Tag, in dem jeder deutsche Hygienebeauftragter aus den Latschen gekippt wäre. Weiter ging es, mit der, aus Sicht einer deutschen 19-Jährigen, schon sehr strengen Kleiderordnung im Heim oder auf der Straße. Vor allem außerhalb des Angels Homes müssen unsere Hosen oder Röcke mindestens bis über die Knie reichen und ärmellose und weitausgeschnittende Oberteile sind auch nicht unbedingt erwünscht- und das bei circa 40 Grad Celsius. Sich im Bikini an den Strand zu legen ist nicht mal denkbar. Diese Erfahrung habe ich am eigenen Leibe zu spüren bekommen, als wir 3 Praktikantinnen unseren freien Samstagnachmittag am, circa 5 Minuten entfernten, Strand verbrachten. Wir waren für deutsche Verhältnisse mehr als nur dick, bzw. lang angezogen, trotzdem zogen wir die Blicke der vorbeifahrenden und laufenden Singhalesen magisch an. Eine schon recht unangenehme Erfahrung, dermaßen angestarrt zu werden, aber ich denke die Reaktion der Menschen ist auf jeden Fall zu entschuldigen, weil hier in Marawila außer den Praktikantinnen des Kinderheims wohl niemand auf die Idee kommen würde, sich freiwillig in die Sonne zu setzen, dazu kommen unsere weiße Hautfarbe und unsere europäischen Anziehsachen - und die Attraktion ist perfekt. Die bezeichnensten Erfahrungen habe ich aber bisher im Kinderheim selber gemacht, ich bin fasziniert von den kleinen Mädchen, die soviel Lachen und soviel Freude weitergeben können, dass ich manchmal vergesse, dass ich in einem Kinderheim bin und hinter jedem einzelnen Mädchen eine traurige Geschichte steckt. Außerdem legen die Kinder eine erstaunliche Disziplin und Eigenständigkeit an den Tag. Gewaschen wird sich in einem Wasserbecken im Garten des Angels Homes. Jedes Kind kann sich und seine Wäsche alleine waschen und sich mit ein bisschen Hilfe der Angestellten so organisieren, dass es mit nur 2 Kleidern immer etwas Sauberes und Trockenes zum Anziehen hat. Außerdem beginnt jeder Tag der Mädchen um 5 Uhr morgens mit Frühsport und anschließender Gartenarbeit. Zur Schule geht es um 7 Uhr,  die Kleinen gehen zu Fuß, die Großen müssen 30 Minuten mit dem Fahrrad zur Konvent- Schule fahren. Nach der Schule geht es weiter mit Hausaufgaben und- Englischnachhilfe, für welche wir Praktikantinnen zuständig sind. Ich habe bisher niemanden darüber meckern hören, und wenn man die Mädchen fragt, ob sie gerne in die Schule gehen, bekommt man ein begeistertes „Yes, yes“ als Antwort. Ich kann einfach nur sagen, dass ich bisher nur tolle und süße Kinder kennen gelernt habe und wenn es nicht vorher schon so war, dann kann ich es jetzt mit Gewissheit sagen, dass ich eine starke Verbundenheit zu diesem Land und den Menschen hier spüre.“

 

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