Drylands Presseartikel

Eine Lebensaufgabe, aber keine Lebens-Aufgabe

Seit fünfzehn Jahren leitet die Meiningerin Julia Fischer ein Kinderheim in Sri Lanka. Den vernachlässigten Kindern in diesem Land will sie dort ihr Lächeln zurückgeben. 

Eine Lebensaufgabe, aber keine Lebens-AufgabeMEININGEN. Von tief ergriffen bis zu einem befreienden Lachen – die Besucher in der Kulturbühne Meiningen folgten gebannt allem, was sie da zu hören bekamen. Mal hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören, dann ließ Julia Fischer die Zuhörer wieder für einen Moment an heiteren Episoden teilhaben, die es bei all dem Leid in ihrem Kinderheim in Sri Lanka eben auch gibt. Zwei Stunden las sie aus ihren Tagebuch-Aufzeichnungen, die sie in den eineinhalb Jahrzehnten in diesem fernen und zugleich fremden Land angefertigt hat.

Manchmal, so gibt sie zu, sieht sie inzwischen ihre Heimat Deutschland schon mit den Augen von Sri Lanka. Und wird dann in ihren Gefühlen hin- und hergerissen. Sie sieht das unendliche Leid in ihrer derzeitigen Wirkungsstätte, dem Kinderheim Angels Home for Children. Eine Einrichtung, die sich um elternlose und vernachlässigte Kinder in Sri Lanka kümmert. Es sei keine leichte Arbeit, bekennt die junge Frau. Womit sie nicht nur die weit schlechteren Lebensverhältnisse in diesem Land meint. Auch emotional werde sie gefordert, mitunter bis an die Grenze des Erträglichen.

Dass diese Tätigkeit keine Arbeit ist wie jede andere, das ist auch hier in Deutschland so. Wer sich nicht in Kinderseelen hineinversetzen kann, wird diesen Beruf – der für Julia Fischer längst zur Berufung geworden ist – nicht ausüben können. Doch zu nahe an sich heranlassen dürfe man all die Schicksale eben auch nicht, was ihr in den ersten Jahren nicht so recht gelingen wollte, bekennt die sensible Frau.

Wenn ein Mädchen, das ihr längst ans Herz gewachsen war, das Heim wieder verlassen hat, weil es zurück zur eigenen Familie gehen wollte oder konnte, sich anderswo ein Ausbildungsplatz ergab oder die Altersgrenze von achtzehn Jahren erreicht war, da hat es ihr fast die Kehle zugeschnürt. Wenn sie zum Beispiel für ein paar Tage nach Deutschland fahren konnte, und ihr beim Abschied ein kleines Mädchen mit den großen Kulleraugen enttäuscht die Frage stellte: „You go?“ Ein Mädchen, das einfach nicht verstehen wollte, dass da „eine Tante, mit der man lachen und spielen kann – und dann fliegt sie einfach wieder weg!“

„Hätte ich das auf Dauer zugelassen, wäre ich längst daran zerbrochen“, sagt sie mit bestimmten Ton. Und dennoch spürt jeder Zuhörer in der Kulturbühne, wie schwer ihr diese (Vernunfts-)Entscheidung gefallen ist. Noch immer sieht sie in ihrer Arbeit eine Lebensaufgabe, doch sie müsse auch aufpassen, dass es keine Lebens-Aufgabe werde.

Kinderseelen gestärkt

Sri Lanka ist für sie eine Hassliebe geworden. Ein Land, in dem sie seit fünfzehn Jahren lebt und arbeitet. „Es gibt vieles, was ich in diesen fünfzehn Jahren nicht verstanden habe. Aber auch viel Schönes, was ich in meinem Leben nicht mehr missen möchte.“ Oft genug hat sie sich die Frage gestellt, was sie selbst mit ihrem Einsatz ändern kann in diesem Land, das zwischen Armut und Korruption von manchen Behörden hin und her schwankt. Natürlich sei sie anfangs überzeugt gewesen, das Richtige zu tun und die Welt verändern zu können. Zweifel daran kamen im Laufe der Jahre auf. Und die Frage: Was willst du eigentlich mit deinem Leben anfangen? Man könne diese und andere Fragen nicht ewig vor sich herschieben.

Vor 15 Jahren- Julia mit der kleinen Hiruni Natürlich weiß sie inzwischen, dass ihr Arm nicht in der Lage ist, das gesamte Land zu verändern. Doch aufgeben will sie deshalb nicht. Denn, auch das hat sie schon mehrfach kennenlernen dürfen: So manches Schicksal hat sie zum Guten verändern können. Wenn sie ein ehemaliges Heimkind, das sie mehrere Jahre umsorgt hat, nach deren erfolgter Ausbildung nun als Betreuerin in ihrem Kinderheim begrüßen konnte.

Es ist nicht das einzige Beispiel, das ihr wieder Kraft gegeben hat, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Mit bestimmten Ton sagt Julia Fischer: „Das waren fünfzehn Jahre in meinem Leben, von denen ich kein einziges bereue!“

Dann liest sie am Mittwochabend in der Kulturbühne Meiningen weiter aus ihren Tagebüchern. Auch heitere Episoden sind darunter. Die zwei Stunden vergehen wie im Flug. Bei den Zuhörern wächst die Achtung vor all dem, was sie zu hören bekommen. Viele von ihnen wollen wenigstens einen kleinen Beitrag zu dem leisten, was diese junge Frau da bewegen will – und greifen in die eigene Geldbörse, als sie erfahren, dass dieses Kinderheim Angels Home for Children sich ausschließlich über Spenden finanziert.

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