Drylands Presseartikel

Die weißen Retter aus Europa

zerrütteten Verhältnissen„Voluntourism“ oder „Freiwilligenurlaub“ diene jungen Abiturienten, die sich etwas Sinnvolles in den Lebenslauf schreiben möchte, nicht aber den Kindern vor Ort, sagen die Skeptiker. Im Gegenteil.

Für knapp zwei Monate war die Leverkusenerin Lisa Möller auf Sri Lanka – bis Corona kam und sie sich entschloss, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Als Freiwillige der Hilfsorganisation „Dry Lands Project“ hat sie Mädchen betreut, die im Kinderheim „Angels Home for Children“ leben.

Für Lisa Möller war es nicht das erste Mal, dass sie vor einer Klasse stehen, Inhalte vermitteln und eine Horde junger Menschen im Zaum halten musste. An der Uni Köln studiert die 27-Jährige im sechsten Semester Lehramt mit den Fächern Deutsch und Evangelische Religionslehre. Sie hat schon als Vertretungslehrerin gearbeitet und an Grundschulen Deutsch unterrichtet. „Wenn ich auf den Seiten von Freiwilligenorganisationen höre, dass sie nichts Anderes voraussetzen als Spaß an der Arbeit mit Kindern, werde ich stutzig“, sagt sie. Die Organisation „Dry Lands“ stelle hohe Anforderungen an die Praktikantinnen und vermittle klar, dass der Dienst keine Urlaubsreise sei.

Das Kinderheim „Angels Home“ liegt in Marawila, einem Küstenort im Westen Sri Lankas. „Mitten im Nirgendwo“, sagt Lisa Möller. Bei der Suche nach einem Projekt hat sie sich auch für „Dry Lands“ entschieden, weil die Leiter sich der Fallstricke beim Thema Freiwilligenarbeit bewusst sind.

Kritisiert wird, dass die jungen Europäer nach wenigen Wochen oder Monaten wieder weg sind und damit genau das, was Kinder aus schwierigen Verhältnissen brauchen, nicht bieten. Stabilität und Verlässlichkeit. Eine pädagogische Ausbildung ist für viele Projekte nicht von Nöten. Stattdessen preisen Entsendeorganisationen die Projektstandorte als „coole internationale Studentenstädte“ mit „tollem Nachtleben“ an, so beispielsweise die Organisation Praktikawelten auf ihrer Seite. Der Verein, den die Leverkusenerin Lisa Möller ausgesucht hat, geht anders vor. Auf der Homepage des Projekts stoßen Interessierte unter dem Punkt „Freiwillige“ auf einen Hinweis der Projektverantwortlichen. Der Kritik an Waisenhaus-Projekten sei man sich bewusst, heißt es. Viele Projekte würden Themen wie Traumata bei Kindern tatsächlich auf die leichte Schulter nehmen. Davon distanziere man sich aber klar. Die Freiwilligen „unterstützen das einheimische Personal, ersetzen es aber keinesfalls“. Ziel sei es, durch die Zusammenarbeit mit Behörden und Angehörigen die Kinder wieder in ihre Familien zu integrieren. Lisa Möller sagt, ohne die Praktikantinnen aus Deutschland sei das Projekt nicht zu stemmen. Die „German Girls“ sind normalerweise vor allem im Einsatz, um den Mädchen Englisch beizubringen. „Die Schülerinnen haben zwei bis drei Mal pro Woche Englischunterricht. Durch uns sprechen sie außerdem in ihrem Alltag englisch. Das ist für sie von Vorteil, wenn sie einmal in eine größere Stadt ziehen möchten“, so Lisa Möller. Sri Lanka beschreibt sie als Land „mit super vielen Problemen“. Das Bildungssystem sei wegen des Bürgerkrieges der von 1983 bis 2009 tobte und dem Tsunami 2004 zu kurz gekommen. Wie das Land durch die Corona-Krise kommt, ist noch unklar. Hier herrschen strikte Ausgangssperren, knapp 800 Infizierte und neun Tote zählt die Insel.

Frank Lieneke kam nach der Tsunamikatastrophe ins Land um zu helfen. Der gelernte Koch baute mit einheimischen Freunden eine Suppenküche auf und versorgte die, die versuchten wieder aufzuräumen. Er blieb und gründete seine eigene Organisation, „Dry Lands“. „Er brennt für das Land und das was er hier tut“, sagt Lisa Möller. Mit sechs Mädchen und einer einheimischen Betreuerin startete das Projekt. In Nicht-Corona-Zeiten betreuen neun Festangestellte gemeinsam mit Lehrern, Praktikantinnen und Co rund 60 Mädchen. In anderen Waisenhäusern würden die Kinder vor allem arbeiten, sagt Lisa Möller. Dass sie – wie es im Angels Home der Fall ist – Paten in Deutschland die sie finanziell und mental unterstützen und Freizeit haben, sei nicht selbstverständlich. Jedes Mädchen werde hier ernstgenommen und individuell gefördert. Eine Schülerin ist Lisa mit ihrem Talent für Mathe aufgefallen. Was die anderen nach langem Üben noch nicht verstanden hatten, gelang ihr auf Anhieb. Jetzt bekommt sie Zusatzunterricht und das Team überlegt, wie sie weiter gefördert werden kann. „Gerade die Mädchen haben – vor allem auf dem Land – oft einen schweren Stand. Sie bekommen nicht so viel Aufmerksamkeit, auf ihre Bildung wird weniger Wert gelegt. Häufig werden sie Opfer von Missbrauch und Gewalt“, erzählt Lisa Möller. Die Organisation arbeitet eng mit dem Jugendamt und Gerichten zusammen. Von dort werden Mädchen an die verschiedenen Heime weitervermittelt – auch nach Marawila. Ein normaler Tag im „Angels Home“ beginnt um 5 Uhr am Morgen und endet um 22 Uhr. Die Mädchen lernen was es bedeutet, einen strukturierten Tagesablauf zu haben. Die 27-jährige Leverkusenerin und die anderen Praktikantinnen begleiten sie dabei. Sie sind Streitschlichterinnen, Lehrerinnen und Spielgefährtinnen. „Man merkt, dass sie Aufmerksamkeit brauchen“, sagt Lisa Möller. Jeder habe seine Lieblingskinder. Dann trotzdem alle gleich zu behandeln, das sei eine Herausforderung. Ein Klischee, aber wahr, sei auch die Freude an den kleinen Dingen: „Die Mädchen haben wirklich nicht viel. Aber die Schülerinnen haben so viel Spaß miteinander und reißen mich mit ihrer Freude mit.“ Bei aller berechtigten Kritik ist sie überzeugt, dass das Projekt mit den Praktikantinnen aus Deutschland besser läuft, als ohne sie.

Allen die den Wunsch haben, zukünftig in einem Projekt mitzuhelfen rät sie: „Augen auf bei der Projektwahl. Darauf achten, ob mein Beitrag wirklich ankommt.“

Lisa Möller, Studentin

(Quelle: https://www.ksta.de/region/leverkusen/stadt-leverkusen/die-weissen-retter-aus-europa-36651768, erschienen am 06.05.2020)

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