Drylands Presseartikel

Besuch in einer anderen Welt

Ellen Bogorisky

Drei Monate hat die 20-Jährige dort ein Praktikum in einem Mädchenheim absolviert. Jetzt ist sie zurück in Bad Münder. Im Oktober beginnt ihr Studium in Münster: Soziale Arbeit.

Ihre Erfahrungen bei der gemeinnützigen Initiative „Dry Lands Project“ seien ausschlaggebend für die Studienwahl gewesen, sagt die junge Frau. Eigentlich hatte Bogorinsky nur vor, ein Jahr mit einem Work-and-Travel-Visum durch Australien zu reisen und zum Schluss einen Abstecher nach Asien zu machen, wie viele Traveller zum Ausklang ihrer Reise. Ihre Wahl war auf Sri Lanka gefallen, weil eine gute Schulfreundin von ihr aus dem Land stammt und ihre Cousine dort einige Monate gelebt hat. „Von ihr habe ich auch den Tipp mit dem Mädchenheim bekommen.“ Denn als einfache Touristin nach Sri Lanka habe sie nicht reisen wollen. „Wenn man arbeitet, kann man Land und Leute viel besser kennenlernen“, ist die 20-Jährige überzeugt.

Deswegen habe sie sich beim „Angels Home for Children“ für ein Praktikum beworben. So heißt das Heim in Marawila, 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo. Hier hat sich Bogorinsky gemeinsam mit zwei weiteren Praktikantinnen um die dort lebenden 57 Mädchen gekümmert.

Die Kinder, alle im Alter von fünf bis 18 Jahren, kommen meist aus zerrütteten Familienverhältnissen und haben teilweise dramatische Vorgeschichten. „Dort leben Mädchen aus Familien, die einfach so viele Kinder hatten, dass sie sich nicht um alle kümmern konnten“, erzählt Bogorinsky. „Und der Vater eines Mädchens, ein Kokosnusspflücker, ist während seiner Arbeit von der Palme gefallen und gestorben.“ Die Münderanerin hat Mädchen getroffen, deren Mütter ins Ausland gehen müssen, um zu arbeiten; Mädchen, die vergewaltigt und dann von ihren Familien verstoßen worden sind; Zwillinge, deren Eltern einfach abgehauen sind und deren Großmutter zu alt war, um sich um sie zu kümmern. Die Schicksale sind vielseitig – aber im Angels Home finden all diese Kinder ein neues Zuhause.

„Und dennoch ist die Lebensfreude dort einfach berauschend“, wundert sich Bogorinsky. Trotz all der Schicksalsschläge und des beschwerlichen Lebens. „Hier habe ich das Gefühl, dass die Menschen immer unter Stress stehen, in Sri Lanka sind die Leute hingegen ganz gelassen und fröhlich.“

Jeden ersten Sonntag im Monat ist Besuchstag im Heim. „Die Kinder freuen sich immer wahnsinnig drauf, wenn ihre Eltern zu Besuch kommen. Rein darf aber nur, wer nüchtern ist.“ Ansonsten sei der Tag in dem Heim strickt durchgeplant. Morgens um 5 Uhr heißt es aufstehen, um 7 Uhr beginnt die Schule. „Es war um einiges einfacher, mit den jüngeren Mädchen in Kotakt zu treten, die sind auf jeden Neuankömmling einfach noch total neugierig und schämen sich auch nicht, wenn ihr Englisch nicht perfekt ist.“ Die Praktikantinnen unterstützen die Kinder bei den Hausaufgaben und geben Englisch-Nachhilfe. „Es gab feste Hausaufgabenzeiten, wischen 15 und 17 Uhr wurde gelernt.“

Zum einheimischen Personal gehört in höchster Position eine Managerin für alle bürokratischen und organisatorischen Angelegenheiten, die nicht von Frank Lieneke und Julia Fischer bewältigt werden können. Für die Betreuung und Versorgung der Mädchen werden nach srilankischen Vorschriften ausschließlich Frauen beschäftigt, wovon derzeit drei direkt im Heim leben und somit rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Im vergangenen Jahr wurde auf dem Nachbargrundstück eine Ausbildungsstätte für verschiedene Handwerkskünste gegründet: (...) Dieser Ort soll Mädchen, die keinen Schulabschluss haben, eine Ausbildung mit anerkanntem Zertifikat ermöglichen – ihnen Hilfe zur Selbsthilfe geben.

Und genau das gleiche möchte Bogorinsky nach ihrem Studium machen: Flüchtlingen bei der Integration in einem für sie fremden Land helfen, „weil ich jetzt weiß, wie es ist, sich in einem fremden Land einzugewöhnen“. Eingewöhnen muss sie sich wenige Wochen nach ihrer Rückkehr auch erst noch. Hauptnahrungsmittel in Sri Lanka waren Reis und Weißbrot. „Wir haben uns dann zur Abwechslung Joghurt gekauft und diesen mit Früchten gemischt.“ Der Anblick eines deutschen Supermarktes sei der „Wahnsinn. Auch wenn Mangos und Bananen in Sri Lanka so viel besser als hier schmecken“.

Sie würde sich wünschen, dass man auch hierzulande weniger meckere – auch wenn es manchmal tatsächlich Anlass dazu gebe, lacht Bogorinsky. Zum Beispiel, wenn man geblitzt wird: „Und hier gibt es ganz schön viele Blitzer.“

Autor: Mira Colic. Quelle

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