Besucher im Angel's Home

un-ver-kenn-bar

Sofort schaltet die Erinnerung ein, als ich den ersten Schritt aus dem Flugzeug mache.

Ich trete durch die unsichtbare Wand aus feucht-warmem Abenddunst, dem man anmerkt, dass es gerade am Abkühlen ist und der vor wenigen Stunden noch wesentlich mehr Hitze in sich getragen haben muss.

Besuch unsere ehemalige Praktikantin Bettina HanselSein eigentümlicher Geruch und das Gefühl auf meiner Haut lassen mich mit Sicherheit wissen, in Sri Lanka angekommen zu sein. Die Erinnerung tut viel in fünf Jahren, die nun vergangen sind, seitdem ich hier war. Natürlich. Sie schläft mit dem Jetzt im selben Zimmer und tauscht sich ständig mit ihm aus. So beeinflussen sie einander, verändern sich.

Befrage ich die Erinnerung zu der Vergangenheit, findet sie die Emotionen, Bilder, Geräusche und Gerüche meist wieder, wenn sie lange genug kramt oder sie ihr durch Reize im Jetzt spontan in die Hände fallen. Meist kommen sie dann leicht verzerrt zum Vorschein. Doch mag das Erinnerte auch wachsen, schrumpfen, seine Form verändern, der Kern bleibt. Mit diesem Kern in der Hand also komme ich an, nächtige in einem vorab gebuchten Hostel in der Nähe und mache mich am nächsten Morgen auf den Weg nach Marawila.

Nett sind die Leute zu mir. Netter noch als abgespeichert. Das erste TukTuk weise ich freundlich ab, der Fahrer versteht, dass ich den öffentlichen Bus nehmen möchte, akzeptiert und bietet mir an, mich gratis zur Haltestelle zu bringen, zumal er ohnehin in die Richtung fährt. Auch an der Haltestelle und im Bus sind die Fahrgäste sehr hilfsbereit und diskutieren miteinander, an welchem Halt in Marawila ich am günstigsten aussteige, um zum Angels Home zu kommen.

Ich gehe die Temple Road entlang, die ersten Gebäude kommen mir bekannt vor. Laut spreche ich aus: “Wie krass. Ich bin echt wieder hier!”Ich sage es zu mir, zu der Straße und zu den streunenden Hunden, die mir begegnen.

Das Tor des Angels Home sehe ich von weitem. Ich übersehe vor lauter Gedanken und Müdigkeit die Klingel und trete ein. Tom als Wachhund macht einen guten Job und begrüßt mich kühl mit viel Gebell. Auf das Zurufen der Kinder und Julias Hinzukommen bleibt er mir allerdings fern.

Schön, sie zu sehen und gar nicht seltsam, obwohl seit dem letzten Mal so viel Zeit vergangen ist.

Ich komme zufälligerweise pünktlich zum Mittagessen und sitze kurz darauf mit 25 Mädchen, den beiden Praktikantinnen, Julia und Frank an der langen Tafel. Die restlichen Kinder sind derzeit noch bei Familie oder Verwandtschaft. Es ist Ferienzeit.

Das Essen ist lecker, wie gewohnt. Die vielen Gesichter zum Teil bekannt, zum Teil noch fremd. Eher wortkarg fühle ich mich fürs erste. Ankommen. Das ist das erste Ziel.

Die ersten Stunden verbringe ich damit, die Eindrücke zu verarbeiten und mich von Julia und Frank durch die Räumlichkeiten und übers Gelände führen zu lassen.

Das Training Center kenne ich noch nicht. Auch am Dach des Heimes hat sich einiges getan. Räume für die Praktikantinnen sind dort entstanden. Das Gelände wurde erweitert, der Garten ist wohl gepflegt, wie damals.

Den Kontakt zu den Mädchen kann ich in den ersten Momenten noch nicht suchen. Ich freue mich sehr, sie zu sehen, selbst viele Namen fallen mir wieder ein. Mehr als eine Begrüßung bringe ich jedoch fürs erste nicht hervor. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, zu ordnen und mich wachzuhalten.

Der angenehme Plausch mit Julia und Frank in ihrem klimatisierten Büro hilft mir dabei.

Am Nachmittag verspüre ich trotz der Hitze das große Bedürfnis, mich zu bewegen. Ich spaziere die Hauptstraße entlang zum Supermarkt im Ort und decke mich mit dem Nötigsten ein, da ich für diese Reise beschlossen habe, lediglich mit Handgepäck zu reisen und mich somit beim Gepäck sehr eingeschränkt habe.

Diesen ersten Abend verbringen Julia, Frank, die beiden Praktikantinnen Olga und Flo und ich zusammen bei Julia und Frank auf der Terrasse. Ich fühle mich sehr wohl und nach einer sehr angenehmen Nacht am nächsten Morgen ausgeschlafen und halbwegs an das Klima gewohnt.

Die nächsten beiden Tage, die bis zu meiner Weiterreise verbleiben, rede ich viel mit einigen der Mädchen. Ich darf sie bei allem begleiten, was sie gerade tun, ob es nun Gartenarbeit, Kleider waschen oder einfach nur Spielen ist. Mehr Zeit als während der Schulzeit verbleibt für solche Dinge.

Einige Mädchen, die damals hier lebten, haben das Heim bereits verlassen. Das wird mir klar, als ich mit Kumari vor der Fotowand von 2011 stehe und sie mir erklärt, wer bereits woanders lebt, verheiratet ist und sogar schon eigene Kinder hat.

Am Nachmittag kündigt Julia bei den Mädchen an, dass es mein Wunsch sei, Kabbaddi zusammen zu spielen. Ich habe dieses Lauf- und Fangspiel damals geliebt und freue mich riesig, dass die Mädchen auch dazu zu begeistern sind. Wir spielen, lachen, schwitzen viel. Nach einer Stunde ist das Bedürfnis nach einer frischen Dusche sehr groß.

 Besuch unsere ehemalige Praktikantin Bettina Hansel Ich genieße Julias, Franks sowie die Gastfreundschaft der Kinder und des ganzen Heimes. Ich fühle mich willkommen.

Meinen letzten Abend verbringe ich nochmals mit Julia und Frank auf deren Terrasse. Wir lassen die letzten Tage, aber auch meinen Praktikumsaufenthalt vor fünf Jahren und die Zeit dazwischen Revue passieren. Lachen viel. Gewohnt fühlt es sich an für mich. Unbeschwert.

Meine Weiterreise startet am nächsten Mittag.

Nachdem Essen verabschiede ich mich von allen Kindern. Kumari über gibt mir ein Geschenk. Es ist ihr wichtig, dass ich es annehme. Ich freue mich sehr über das kleine schwarze Plüschherz. Wir umarmen uns herzlich. Das tut gut.

Der Abschied ist dennoch leicht. Wir freuen uns, dass wir uns gesehen haben. Die Frage mancher Mädchen, ob ich wiederkomme, fällt mir schwer zu beantworten. Ich halte es offen.“I’d love to. So, maybe, but I can’t promíse”

Eine zufriedenstellende Antwort für mich. Denn es ist die einzig Wahre.

Die Mädchen begleiten mich fröhlich zum Tor. Wir winken uns.

Mein Weg führt nach Gampaha. Dort werde ich einen Kurs in Ayurvedischer Behandlung und Massage besuchen, bevor ich ein paar entspannte Tage an der Ostküste verbringen werde.

Vorfreudig und zufrieden starte ich zu Fuß die Temple Road entlang, vorbei an den streunenden Hunden, die bereits wissen, wie krass es für mich ist, wieder hier zu sein, in Richtung Bus, wo mich eine aufgedreht unruhige Atmosphäre erwartet, die meine Erinnerung bereits bei meiner Ankunft wieder hervorgekramt hat.

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