Von Julia auf Freitag, 20. August 2021
Kategorie: Mitten im Geschehen

Gedanken aus der Ferne

Wie die meisten von euch wissen, bin ich derzeit in Deutschland und verbringe hier viel Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden. Auch wenn sich meine Gedanken täglich auch um Sri Lanka drehen und ich mich zu bestimmten Zeiten des Tages an den großen Esstisch im Angels Home oder zu Frank in unsere gemeinsame Wohnung denke, so muss ich ehrlicherweise auch zugeben, dass ich die Zeit und die Freiheiten hier sehr genieße. 

Aktuell bin ich mit meinen lieben Eltern und meiner kleinen Nichte Melly eine Woche im Urlaub, den wir in einer schönen Ferienwohnung in Schmiedefeld (nur ca. 45 Minuten Fahrzeit von unserer Heimat Meiningen entfernt) verbringen. Leider haben wir mit dem Wetter nicht so viel Glück, sodass wir uns auch viel drinnen beschäftigen müssen. Mein Papa und ich hoffen sehr, dass es bis Sonntag wieder besser wird, denn dann wollen wir beide auf dem gleichen Weg, wie wir gekommen sind, auch wieder zurück; nämlich mit dem Fahrrad.

Melly ist aktuell 7 Jahre alt und wirklich ein sehr süßes kleines Mädchen – clever und aufgeweckt noch dazu. Da sie sehr oft die Wochenenden und auch die aktuellen Schulferien bei meinen Eltern verbringt, bekomme ich gerade viel davon mit, wie sie sich entwickelt und wie man eben auch als Oma, Opa oder Tante in Deutschland mit Kinderwünschen, Erziehungsmaßstäben, ausgelassener Albernheit und kleinen Böckchen umgeht. Auch ausgiebige Kuscheleinheiten gehören zu unserem Alltag und ich merke wieder einmal, wie sehr Kinder diese Nähe und Zärtlichkeit doch brauchen, um Vertrauen aufzubauen und eine sichere Basis für ihre weitere Entwicklung zu haben. Umso mehr denke ich darüber nach und macht es mich traurig, dass viele unserer Mädchen im Angels Home noch nie oder nur viel zu selten in den Genuss des Kuschelns mit der eigenen Mutter gekommen sind. Das ist so unfassbar ungerecht und schmerzlich – zumal sie ja noch nicht einmal etwas falsch gemacht haben oder in irgendeiner Form etwas dafürkönnen! Wenn ich mir überlege, was aus jedem einzelnen unserer Mädchen alles werden könnte, wie viel besser und „gesünder" sie sich zu selbstbewussten und starken Persönlichkeiten entwickeln würden, wenn sie doch nur ein bisschen mehr Elternliebe bekommen hätten, dann tut mir das unendlich leid! Und wieder einmal muss ich einsehen, dass wir mit unserem wunderschönen Kinderheim trotz bester Gegebenheiten niemals die soziale und psychische Entwicklung eines Kindes in der Familie ersetzen können.

Und trotzdem bleiben Kinder eben Kinder. Sie haben noch nicht diesen Weitblick auf die Dinge, auf die zentralen Fragen des Lebens und auf die Grundlagen ihrer späteren Entwicklung. Deshalb wissen unsere Mädchen im Angels Home ebenso wenig unsere Bemühungen zu schätzen, diesen Ersatz zu vollbringen, wie meine Nichte Melly weiß, unter welch glücklichen Bedingungen sie geboren ist und aufwachsen darf. Dies kann man den Kindern jedoch nicht zum Vorwurf machen. Woher sollen sie wissen, wie es anders sein könnte, wenn sie es nie erlebt bzw. keine Vergleichsmöglichkeiten haben? Man kann es ihnen berichten und aufzeigen, aber wirklich verstehen werden sie es erst viel, viel später – vielleicht wenn sie erwachsen sind und andere Lebenswelten kennenlernen oder selbst Kinder haben.

In all den Jahren, die ich nun mit Kindern in Sri Lanka arbeite, bleibt jedoch etwas überall auf der Welt gleich: Kinder brauchen Liebe und Konsequenz gleichermaßen – für mich die 2 wichtigsten Eckpfeiler einer guten Erziehung. Kommt auch nur eine dieser beiden Grundlagen zu kurz, ist eine „normale" bzw. gesunde Entwicklung kaum möglich. In der Theorie klingt das alles ganz einfach und logisch, praktisch ist es jedoch oft eine riesengroße Herausforderung!

Nachdenkliche Grüße aus Deutschland,

eure Julia. 

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