Diesen Blogeintrag widme ich einem ganz besonderen Thema, das mich in meinem beruflichen Alltag immer wieder begleitet und wohl auch noch lange begleiten wird. Der professionellen Distanz. Gerade hier im Heim ist sie von zentraler Bedeutung. Denn man lebt, isst und arbeitet Tag für Tag mit vielen wunderbaren Mädchen zusammen. Jungen Menschen, die vor allem eines brauchen: jemanden, der ihnen zuhört, sie ernst nimmt und ihnen ein Gefühl von Verlässlichkeit gibt. Etwas, das viele von ihnen in ihrer Herkunftsfamilie leider nicht erfahren haben. Wäre das anders, wären sie vermutlich nicht hier.
Während meines Studiums war ich überzeugt: Ich bin jemand, der gut helfen, arbeiten und danach abschalten kann. Ich habe gedacht, dass ich mit schwierigen Themen gut umgehen und klare Grenzen ziehen kann. Genau dass ist tatsächlich ein großer Vorteil in einem Beruf, in dem das Leid und die Sorgen anderer Menschen oft im Mittelpunkt stehen. Ich persönlich richte mich dabei immer nach dem Gedanken: Es geht den Kindern jetzt besser – wir sind für sie da, um ihnen zu helfen und sie zu unterstützen, damit sie ihre Kindheit an einem Ort verbringen können, an dem sie einfach Kinder sein dürfen. Doch genau das, das professionelle Abgrenzen, wo ich dachte das liegt mir besonders gut, ist im Heimalltag oft leichter gesagt als getan.
Ich lebe jetzt seit über zweieinhalb Monaten fast rund um die Uhr mit den Mädchen zusammen. Und Tag für Tag merke ich, wie schwer es tatsächlich ist, professionelle Distanz zu wahren. Die Kinder hier wachsen einem ans Herz. Sie sind gleichzeitig wie Familie und Freunde, und es ist kaum möglich, sich dem zu entziehen. Besonders, weil es oft keine Ausweichmöglichkeiten gibt, keine Orte, an die man gehen kann, um einfach mal abzuschalten oder Zeit mit Menschen zu verbringen, bei denen es nicht ständig um den Heimalltag oder das Wohlergehen der Kinder geht. Diese Nähe ist wunderschön und gleichzeitig meine größte Herausforderung. Denn sie bringt eine tiefe emotionale Verantwortung mit sich. Und sie verlangt vor allem eines: Achtsamkeit im Umgang mit den Kindern und mit mir selbst.
Trotz allem schätze ich die Arbeit mit den Mädchen sehr. Kein Tag gleicht dem anderen, auch wenn unsere tägliche Routine auf den ersten Blick immer gleich erscheint. Am Ende hängt alles von der Stimmung und dem Verhalten der Kinder ab. Und genau das macht diese Arbeit so lebendig. Man merkt sehr schnell, wie viel die Mädchen hier zu geben haben. Besonders an den Tagen, die unglaublich kräftezehrend sind, weil man niemals allen 52 Mädchen gleichermaßen gerecht werden kann. Es sind die kleinen Gesten, die alles verändern: eine einfache „Gute Nacht"-Umarmung, eine liebevoll gebastelte Papierrose oder ein Satz wie „Nina, you look beautiful." Sie sind so kostbar – denn sie geben selbst den anstrengendsten Tagen einen Sinn. Manchmal verwandeln sie sie sogar in die schönsten überhaupt.
Und am Ende sind es genau diese Momente, die mir an schwierigen Tagen zeigen, wie richtig ich mich in der sozialen Arbeit fühle. Denn diese Augenblicke sind wertvoller als alles, was mir eine andere Berufung je geben könnte. Allein für diese Erkenntnis bin ich jetzt schon unglaublich dankbar – dankbar für die Mädchen, das Team, für jede positive wie auch negative Erfahrung, die mich hier begleitet. Ob ich mich schon weiterentwickelt habe? Ich denke schon. Was meint ihr? Und das nach gerade mal elf Wochen! Schon verrückt zu wissen, dass schon die Hälfte meiner Zeit hier vorbei ist. Ob sie schnell oder langsam vergangen ist, das kann ich kaum sagen. Zu viel ist passiert. Zu viele schöne, herausfordernde und lehrreiche Momente, die meine Zeit hier so besonders gemacht haben. Was noch kommt? Wir werden sehen. Aber eines ist sicher: Gut wird's bestimmt.
Beste Grüße,
eure Nina